Elise von Hopffgarten. Das Pfadfinderbuch für junge Mädchen...

 

Elise von Hopffgarten. Das Pfadfinderbuch für junge Mädchen...

Prof. Dr. Wilfried Breyvogel, Universität Duisburg-Essen; Frauke Schneemann M. A., Georg-August-Universität Göttingen; Dr. Stephan Schrölkamp, Berlin

Abstract Vortragsteil Schneemann

„Der Schein der Internationale“? – die Auslandskontakte der deutschen Pfadfinderinnen (1910-1933)

Bereits vor der Gründung des Deutschen Pfadfinderbundes für junge Mädchen (1912) entstanden erste Kontakte zwischen Mädchenwanderbünden bzw. regionalen Pfadfinderinnengruppen und Girl Guides, die 1911 in einem Besuch der britischen Gäste in Deutschland gipfelten. Auf Veranlassung von Elise von Hopffgarten erfolgte dann ein Jahr später die Kontaktaufnahme zwischen Sophia von der Becke und Pfadfinderinnen in Birmingham und Northfield. Zu einem Gegenbesuch deutscher Pfadfinderinnen auf britischem Boden sollte es nicht mehr kommen, lediglich eine Gruppe des Jungdeutschlandbundes aus Berlin-Schöneberg stattet 1914 den Briten noch einen Besuch ab - weiteren Annäherungsversuchen bereitete der Ausbruch des Ersten Weltkriegs ein jähes Ende.

Mit Übernahme des Amtes der Bundesvorsitzenden und der Wahl zur Bundesführerin löste Katharina „Erda“ Hertwig schließlich 1922 Elise von Hopffgarten ab. Mit „Erda“ stand nun eine Frau an der Spitze der deutschen Pfadfinderinnenbewegung, die sich auch auf internationalem Parkett der Pfadfinderei bewegte und zum Gast auf diversen Weltkonferenzen der Pfadfinderinnen wurde. Überschattet wurden jene Gelegenheiten zur Aufnahme der deutschen Pfadfinderinnen in das internationalen Netzwerk jedoch durch die sich verstärkenden nationalistischen und völkischen Tendenzen in innerverbandlichen Diskursen, die sich u.a. gegen „das Schanddiktat von Versailles“ und die Ruhrbesetzung durch die Franzosen richteten.

Der Vortrag soll einen Überblick über die Kontakte und Beziehungen in der deutschen Pfadfinderinnenbewegung zur internationalen Pfadfinderinnenszene im Zeitraum 1910-1933 geben. Hierbei sollen insbesondere die Darstellungen und Bewertungen des Auslandes im Fokus stehen, welche Rückschlüsse auf das eigene Selbstverständnis und die eigene kulturelle Selbstdarstellung liefern. In einem abschließenden Fazit soll letztendlich auf Bedeutung und Bewertung von jenen pfadfinderischen Aktivitäten im Ausland eingegangen werden.

 

Abstract Vortragsteil  Schrölkamp

Verkannte jüdische Abstammung und genealogische Zusammenhänge in der Gründergeneration der deutschen Pfadfinderinnen- / Pfadfinder-Bewegung am Beispiel Maximilian Bayer (1872 – 1917) und Elise von Hopffgarten, geb. Henoch (1869 – 1951)

1.         Die genealogische Recherche zur Herkunft der Gründerin der Pfadfinderinnen in Deutschland, Elise von Hopffgarten, brachte das überraschende Ergebnis zu Tage, dass E. v. Hopffgarten und Maximilian Bayer, der nach der Gründung des Deutschen Pfadfinderbundes (am 09. Januar 1911) als Bundesfeldmeister für Norddeutschland und Sachsen eine zentrale Funktion übernahm, beide als URENKEL aus der gleichen alteingesessenen jüdischen Familie aus Berlin stammten. Im Sprachgebrauch der Nationalsozialisten waren beide „Halbjuden“. In allen Quellen, die bisher zu beiden gefunden wurden, gibt es dazu keinen Hinweis, auch dass sie Cousin und Cousine waren, wird in den zugänglichen Quellen nicht erwähnt.

2.         Gemeinsamer Ausgangspunkt ist die Familie Henoch. Der Urgroßvater, Israel Moses Henoch, 1770 in Berlin geboren, war Bankier und führte 1815 das Droschkenfuhrwesen und 1840 die erste Pferdeomnibuslinie in Berlin ein. Im Volksmund hieß er „Droschken-Henoch“. Bereits 1818/19 erwarb er das Rittergut Gleissen (Neumark), eröffnete 1825 eine Seidenfabrik und baute den Ort in ein Kurbad um. 1836 zum Geheimen Kommerzienrat ernannt, stiftete er den Neubau der Evangelischen Kirche in Gleissen. Über dem Kirchenportal war über 100 Jahre die Inschrift angebracht:

Dieses Gotteshaus erbaute seiner christlichen Gemeinde im Jahre 1837 der zeitige israelitische Besitzer der Herrschaft Gleissen, Israel Moses Henoch.

Im Jahr 1842 verkaufte die Familie Henoch den Gutsbesitz. Am 22. Dezember 1844 starb Israel Henoch in Dresden an den Folgen eines Schlaganfalls und wurde auf dem jüdischen Friedhof beerdigt. Ende der 1930er Jahre löschten die Nationalsozialisten seinen Namen und alle Hinweise seiner Wohltätigkeit in Gleissen.

3.         Aus seiner Ehe mit Caroline, geb. Levysohn, gingen zwei Söhne hervor, neben Hermann, dem Älteren (1802 – 1869), der jüngere Louis Moritz Henoch (1809 – 1884), der bereits zum Katholizismus konvertierte. Dieser Louis Moritz Henoch wird für uns wichtig. Er trennte sich von Berlin und machte eine Karriere als Hof- und Domänenrat, so 1851 in Wiesbaden. 1852, mit 43 Jahren, wechselte er als Berg- und Hüttenwerksdirektor nach Aachen. Sein Leben beendete er mit 75 Jahren in Gotha. Mit seiner Frau (auch jüdisch katholisch konvertiert), Caroline, geb. Wolff, waren sie die Großeltern von E. von Hopffgarten und M. Bayer.

Sie hinterließen vier Kinder, drei Mädchen, von denen die letztgeborene Julie (1839 – 1888) und der einzige Junge, Gustav Henoch (1834 – 1898) für uns relevant werden. Er wird der Vater von E. v. Hopffgarten.

4.         Gustavs erste Eheschließung erfolgte 1858 in Wiesbaden, zu diesem Zeitpunkt war er bereits evangelisch konvertiert. Nach dem frühen Ableben seiner ersten Ehefrau heiratete Gustav 1868 in Plauen Anna Lang (1841 – 1919), die Tochter eines Fabrikbesitzers in Plauen. Aus dieser Ehe gingen die beiden Töchter Elise Hermine (1869 – 1951) und Marie Louise (1873 - ?) hervor.

G. Henoch war von Beruf Bergingenieur. Er war seit 1865 für die Planung und Ausführung der Wasserversorgung in Plauen, Reichenbach, Altenburg, Chemnitz, Schneeberg und Gotha verantwortlich. Gustav Henoch starb 1898 in Gotha mit 64 Jahren, seine Ehefrau Anna überlebte ihn um 21 Jahre und starb 1919 im Alter von 78 Jahren.

5.         Der Preußische Generalmajor Stephan Bayer (1816 – 1893), der Vater des Maximilian Bayer, stammte aus einer angesehenen katholischen Offiziersfamilie in Baden. Seit 1846 verheiratet, folgte (nach dem frühen Tod der Ehefrau) 1862 in Freiburg i. Br. seine zweite Ehe mit Julie Henoch. Im Gegensatz zu ihrem Bruder Gustav Henoch ist Julie zum Katholizismus konvertiert. Dem Ehepaar Stephan und Julie Bayer wurden eine Tochter Marie Renée (1863 – 1937) und ein Sohn Maximilian (1872 – 1917) geboren.

Der Vater S. Bayer war Spezialist im Festungsbau und im Generalstab stationiert. Mit 76 Jahren starb er im Jahr 1893 in Dresden und wurde im Mannheimer Familiengrab beerdigt. Die Mutter Julie starb mit nur 48 Jahren 1888 (fünf Jahre vor seinem Tod) in Dresden und wurde in Dresden und nicht in Mannheim im Familiengrab beerdigt. Möglicherweise spielte bereits zu diesem Zeitpunkt ihr jüdischer Familienhintergrund eine Rolle.

6.         Maximilian Bayer, biografischer Überblick:

M. Bayer (katholisch) 1872 in Karlsruhe geboren, durchlief die Offiziersausbildung in der Kadettenanstalt Berlin-Lichterfelde und erreichte in seiner Laufbahn den Rang eines Majors. Er wurde zum Großen Generalstab in Berlin und zum Generalstab der Schutztruppe für DSWA kommandiert. Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs folgten der Einsatz als Stadtkommandant von Lüttich sowie Brüssel. Nach Übernahme eines Reserve Infanterieregiments starb M. Bayer an den Folgen eines Kopfschusses im Oktober 1917 an der französischen Westfront. 1926 erfolgte seine Umbettung in das Mannheimer Familiengrab. Als „Halbjude“ blieben M. Bayer damit die Ausgrenzungen im Nationalsozialismus erspart.

7.         Gemeinsam übertrugen M. Bayer und A. Lion in den Jahren 1908/09 das englische Pfadfinderhandbuch „Scouting for Boys“. Beide sind seit ihrem Einsatz in DSWA kameradschaftlich verbunden. An der Gründung des Deutschen Pfadfinderbundes (DPB) am 9. Januar 1911 in Berlin ist M. Bayer maßgeblich beteiligt und kann durch eine zweijährige Freistellung vom Militärdienst die Organisationsstruktur aufbauen. Mit seiner Ernennung 1913 zum Reichsfeldmeister übernahm er die Führung des Pfadfinderbundes.

8.         E. von Hopffgarten beschreibt, wie es zu der Ausarbeitung des „Pfadfinderbuches für junge Mädchen“ kam:

Als der deutsche Pfadfinderbund für Knaben im Mai vorigen Jahres (1911) an mich mit der Aufforderung herantrat, ein Pfadfinderbuch für junge Mädchen herauszugeben und einen Bund zu gründen, (...) trat ich mit Freude an die große Aufgabe heran, (...). (Vorwort S. III)

Es ist zu vermuten, dass ihr Cousin M. Bayer und A. Lion sie angesprochen haben. Neben C. Frhr. Seckendorff sind sie mit mehreren Beiträgen im Band vertreten.

9.         Biografischer Überblick, Elise von Hopffgarten (bis 1921)

Am 29. Januar 1869 im Thüringischen Altenburg geboren und evangelisch getauft, heiratete sie mit 23 Jahren 1892 in Gotha den Assessor Dr. jur. Kurt von Hopffgarten. Bei der Familie handelte es sich um einen alteingesessenen Adel, der Vater Maximilian v. Hopffgarten (1825 – 1904) war Rittergutsbesitzer auf Mülverstedt. Nach knapp zwei Ehejahren starb K. v. Hopffgarten aus bisher unbekannten Gründen. Als 25-jährige Witwe begann für Elise ein neues Leben, sie heiratete nicht mehr.

Bis 1905 wohnte E. v. Hopffgarten im Raum Halle und Gotha und erlernte die Fremdsprachen Englisch, Französisch, Italienisch, Portugiesisch und Spanisch. Ab 1896 begann sie als Übersetzerin von italienischen Erzählungen freiberuflich zu arbeiten. Ab 1906 engagierte sie sich in Berlin im Lyceum-Club, einem Verein, der sich für die Reform der Höheren Mädchenbildung einsetzte.

Mit der Gründung des Deutschen Pfadfinderbundes für junge Mädchen am 14. Januar 1912 im Pestalozzi-Fröbel-Haus in Berlin und der Veröffentlichung des entsprechenden Pfadfinderinnenbuches im Februar 1912 war die Gründungsphase abgeschlossen. Als erste Bundesvorsitzende leitete und repräsentierte E. v. Hopffgarten mit großer Leidenschaft den DPB für junge Mädchen, welcher sich ab 1913 als Bund Deutscher Pfadfinderinnen (BDPi) bezeichnete.

Zu Beginn des Ersten Weltkrieges richtete der Bund an alle Ortsgruppen einen Aufruf zum Kriegsgemüseanbau. Im Frühjahr 1915 erfolgte die Einrichtung eines Bundes-Versuchsgartens in Neubabelsberg bei Berlin, E. v. Hoffgarten übernahm bis 1920 die Leitung und Unterrichtung von Pfadfinderinnen sowie Schülerinnen des allgemeinbildenden Schulwesens im Gartenanbau.

Als Folge der Erneuerungsbewegung im deutschen Pfadfinderbund kam es 1920 auch im Pfadfinderinnenbund zu einem Umbruch. Als Noch-Bundesvorsitzende unterstützte E. v. Hopffgarten eine Führerinnen-Tagung, die vom 30.09. bis 03.10.1920 in Weimar stattfand. Eines der Ergebnisse war die Anerkennung des Bundesvorstandes in seiner bisherigen Form. Als Vertreterin des Vorstandes besuchte auch Katharina Hertwig (1878 – 1953) aus Leipzig für einen Nachmittag die Tagung.

Durch den Zusammenbruch des Kaiserreiches war die finanzielle Unterstützung der Pfadfinderinnenorganisation zusammengebrochen, der umfangreiche Vorstand bzw. Arbeitsausschuss des Bundes löste sich auf. E. v. Hopffgarten verlor damit ihre Unterstützung und übergab im Laufe des Jahres 1921 den Bundesvorsitz an Katharina Hertwig, die spätere „Erda“, die bereits in Leipzig eine Geschäftsstelle des BDPi eingerichtet hatte.

 

Abstract Vortragsteil Breyvogel

Elise von Hopffgarten – Die Gründerin des Bundes Deutscher Pfadfinderinnen.       

            1. Die Person, ihr Denken und ihre Wertvorstellungen.

Elise von Hopffgarten, im Folgenden E.v.H., (1869 – 1951): Um eine Vorstellung von der Person, ihrem Denken und ihren Wertvorstellungen zu gewinnen, bietet sich an erster Stelle das von ihr 1912 herausgegebene Pfadfinderbuch für junge Mädchen an. Der Untertitel: Ein anregender, praktischer Leitfaden für die heranwachsende, vorwärtsstrebende (!) weibliche Jugend ist ungewöhnlich und zugleich programmatisch. Jeder Leser im Jahr 1912 wusste, dass der Vorwärts das Leitorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands war. Dass dieses Vorwärts den Mädchen zugeschrieben wurde, ist ungewöhnlich, wenn nicht herausfordernd.

            2. Nehmen wir hinzu, dass es als Ziel des Buches auf den ersten Seiten lautet: Das Buch will Euch ein Freund sein, der Euch gesund und stark, frei und selbständig fürs Leben macht, dann ist hier mit den Begriffen frei und selbständig deutlich eine Sprache angeschlagen, die in den linken Flügel der Frauenbewegung verweist. Es bleibt aber nicht bei dem einmaligen Hinweis, sondern der Wertekatalog wird auf der folgenden Seite noch zweimal wiederholt: Holt Euch rote Backen, Gesundheit, Mut, Kraft und Selbständigkeit (...) und variierend: Gesundheit, Selbständigkeit, Mut, Geisteskraft, Selbstzucht (...), dann ist deutlich, wes Geistes Kind hier spricht.

            3. Zu diesen Zentralbegriffen: Freiheit, Selbständigkeit, Kraft und Mut – eindeutig männliche Attitüden – kommt die Berufsorientierung: (...) welchen Beruf ihr auch ergreift, überall müsst ihr als kraftvolle, selbständige Persönlichkeiten dem Kampf ums Dasein gewachsen sein!

            4. Gehen wir jetzt auf die Adjektive ein, die eine Pfadfinderin kennzeichnen, dann heißen sie, unbedingt verlässlich, (auf das Wort einer Pfadfinderin muss man sich unbedingt verlassen können), seid höflich, vermeidet Klatsch, seid offen, ehrlich, allzeit hilfsbereit, liebevoll gegen Alte, selbstlos, seid gegenseitig wie Schwestern, ganz gleich, welcher Gesellschaftsklasse oder Religion ihr angehört. (Alle Belege, Pfadfinderbuch für junge Mädchen, S. 6f.)

            5. Diese mutige, entschiedene Ausgangsposition lässt ahnen, was ihr an Widerstand im eigenen Lager und von außen begegnen wird. Schauen wir zunächst nach außen. Die katholische Seite reagierte sehr zügig, so die Zeitschrift Der Jungfrauenverein in der Diözese Paderborn, gez. von einem Pfarrer aus Bochum. Er rezensiert das Pfadfinderinnenbuch, ist überrascht über das Wachstum der Gruppen, empfindet das als Herausforderung für die Katholische Jugendpflege, überliest aber alles, was in Richtung Freiheit, Selbständigkeit und Berufstätigkeit geht, positiv aufgegriffen wird die Pflege der Gesundheit, aber auch mit dem typischen Begriff der körperlichen Stählung der weiblichen Jugend, ein Begriff, der bei E.v.H. nicht zu finden ist und ihr wohl nicht über die Lippen gegangen wäre. Dann kommt es zum Kern des Problems: Es sei zu beachten, dass der Bund als solcher von allen religiösen Aufgaben vollkommen absieht. (S. 15) Dagegen sei doch für den wahren Jugendfreund das höchste Ziel der Erziehung für Gott und die Ewigkeit zu wirken, das komme aber gar nicht zur Geltung.

Noch bedenklicher sei, dass die Berliner Pfadfinderinnen gemeinschaftlich mit den Pfadfindern einen interkonfessionellen Feldgottesdienst veranstaltet haben. Selbst wenn man das als eine unbeabsichtigte Entgleisung entschuldige, für unsere katholische Jugend ist der Pfadfinderinnenbund nicht der rechte Platz.

            6. Der Widerstand, der aus den eigenen Reihen entstand, ist bei der bisherigen Quellenlage nicht ganz durchschaubar. Das Folgende ist der Versuch einer Deutung. Zunächst ist es im April 1914 ein merkwürdiger Vorgang, den wir durch weitere Quellensuche weiter aufzuschließen versuchen werden. Im Bericht über die Vertreterversammlung am 26. April 1915 ist von der Gründung einer Bibliothekskommission die Rede und die Ortsgruppe Leipzig wurde dabei ermächtigt, zehn Personen in die Kommission zu wählen. Unser/mein Nachdenken setzte darüber ein, wieso kann eine Ortsgruppe über eine Besetzung mit 10 Personen allein entscheiden? Fakt ist, dass Käthe/Katharina Hertwig, schlicht Erda, in Leipzig ihre Hausmacht hatte. Wie hängt das zusammen, ist das ein Befriedigungsversuch, um die Satzungsdiskussion zu vermeiden?

Die zweite Kommission, die auf Antrag des Vorstands der Ortsgruppe Groß-Berlin gebildet wurde, zielte auf eine Kommission zur Satzungsänderung. Dieser Kommission gehörten acht Personen an, neben E.v.H., Käthe Hertwig, Leipzig, und der jüdische Fabrikant und (in der heutigen Sprache) finanzielle Sponsor, Konsul Baschwitz, Berlin, die übrigen sind uns/mir unbekanntere Gruppenleiterinnen aus anderen Städten. Die Umsetzung der Arbeit dieser Kommission wurde durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs im Juli/August 1914 verunmöglicht. Jetzt stand anderes auf der Tagesordnung. In der Vorstandssitzung (6. Februar 1915) wurde auf Antrag von Konsul Baschwitz und Frl. Gierke, der 2. Bundesvorsitzenden, einstimmig beschlossen, dass eine Anfrage an die Ortsgruppen und die Mitglieder der Satzungskommission ergehen solle, ob sie damit einverstanden wären, die Arbeit der Satzungsänderung, die in Ruhe durchdacht werden müsse, bis nach dem Kriege zu vertagen. Gleichzeitig wurde die Vertreterversammlung 1915 bis auf Weiteres vertagt. Die durchweg bestätigenden Schreiben der Ortsgruppen führten dazu, dass die Satzungsdiskussion bis zum Ende des Weltkriegs 1918 ausgesetzt war. (Jahresbericht 1915, in: Die Pfadfinderin, 3. Jg., H. 8, S. 60 f.)

            7. Die interne Diskussion über Ziele und Inhalte erhielt im Januar 1916 einen entscheidenden Anstoß. Unter dem Titel Gedanken über die Zukunft der Pfadfinderin veröffentliche Käthe Hertwig eine Kritik, die sich von den links-liberalen Positionen der Gründerin absetzte. Jetzt heißt es: Gibt es etwas Lockenderes ... als unsere jungen Mädchen frisch, gesund und t ü c h t i g zu machen! Präzisierend wird eingeführt: Jedes junge Mädchen (jedes deutsche junge Mädchen ...) kann Pfadfinderin werden. Als Ziel erscheint: Das feste, einigende Band für alle, soll die Pflege der Heimat- und Vaterlandsliebe ... sein. Im nächsten Zug beantwortet sie selbst die Frage, was kann die Pfadfinderbewegung für die weibliche Jugend werden? Ihre Antwort lautet: Die Brücke, der Übergang zum heißersehnten ... weiblichen Dienstjahr. Noch genauer setzt sie fort: Der Begriff Dienstpflicht setzt einen anderen voraus. Gehorsam! Der Allgemeinheit unterordnen, das müssen wir Frauen lernen! Und es liest sich wie eine Prognose auf die Dreißiger Jahre: Üben wir doch jetzt freiwillig, was später Zwang werden wird! (Alle Zitate in: K. Hertwig, Gedanken über die Zukunft der Pfadfinderin, in: Die Pfadfinderin, 4. Jg., H. 1, S. 2, Hervorhebungen alle im Original)

            8. Damit wird durchsichtig, welche Konfliktlage zwischen E.v.H. und Käthe Hertwig bestand, gleichzeitig aber auch, welche Vorteile die neun Jahre jüngere K. Hertwig dadurch hatte, dass sie sich dem national-konservativen Lager anschloss. Mit dem Verweis auf Deutsch als Voraussetzung öffnete sie sich 1916 bereits für die später nationalsozialistischen Optionen.

            9. Im Folgenden stütze ich mich auf die Periodisierung, die Stephan Schrölkamp ermittelt hat. Im Jahr 1921 übernimmt K. Hertwig den Bundesvorsitz des Bundes der Pfadfinderinnen. E.v.H. arbeitete bereits vor der Gründung des Bundes der Pfadfinderinnen als Übersetzerin und Journalistin, d. h. als freie Mitarbeiterin für Zeitschriften und Tageszeitungen. Diese Tätigkeit nahm sie in den 1920er Jahren wieder auf, bis ihr durch den Ausschluss aus der Reichsschrifttumskammer dies unmöglich gemacht wurde. Sie starb 1951 in einem Krankenhaus/Altenheim im Wartburgkreis.

            10. Aus dem Spektrum dieser von Stephan Schrölkamp aufgespürten Arbeiten werden drei Aufsätze im Vortrag kurz vorgestellt. Es sind Reiseberichte über die Kanarischen Inseln, eine deutsche Kolonie in Brasilien und eine Reise nach Palästina.

            Dabei geht es um die Frage, wie sich ihre normativen Vorstellungen in diesen Reiseberichten darstellen.

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